«Dialoge» – so heißt die Kolumne von Ettore Molinario, einem der einflussreichsten Sammler von Fotografien in Italien. In jeder Ausgabe nimmt er sich zwei Werke aus seinem Besitz vor, tritt mit ihnen in Kontakt, spricht mit ihnen und über sie.

Dialog #1 
Die Suche nach
dem Selbst

Text — Ettore Molinario                        
Übersetzung — Zora del Buono

Der erste fotografische Dialog, den ich hier vorstellen möchte, zeigt den inneren Dialog einer Frau. Ihr Name ist Louise und sie schenkt ihrem eigenen männlichen Anteil Beachtung – sie wählt ihn, erklärt ihn.
 
Es ist das Jahr 1845. Erst sechs Jahre zuvor hatte François Arago in der Akademie der Wissenschaften in Paris die Geburt der Daguerreotypie und damit der Fotografie angekündigt. Dieses Bild erinnert daran, dass die Fotografie von Anfang an in der Lage war, die Suche nach dem Selbst, die Angst davor, die Notwendigkeit dazu und den Wert jener Erforschung zu erfassen.
 
Neben Louise, die möglicherweise Französin oder Engländerin ist, sieht man einen Mann von hinten, der Louise sein könnte, so sehr ähnelt er ihr. Ein Mann, der sich fünfzehn Jahre später, 1860, in den Vereinigten Staaten, der Kamera und ihrem entlarvenden Blick verweigert.
 
Sich zeigen, sich zurückziehen, sich offenbaren, sich verstecken…
 
Sich dem Unbekannten zu stellen, ist eine Herausforderung, manchmal ein gefährliches Spiel. Aber genau in dieser Spannung, in dieser Fülle von Beziehungen liegt das Herzstück meiner Sammlung, der Sinn ihrer Fortentwicklung und die Einladung, so hoffe ich, ihr zu folgen.

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