Alle reden von KI, aber was ist mit 3D-Renderings?

Text – Christoph Schütz — 23.05.2025

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Mit diesen Angaben versehen bietet Getty Images das Bild eines Unterwasserkabels in seiner Datenbank an (Screenshot von der Getty Images Website).

Abbilder, die keine sind

Zur Arbeit von Fotoredakteurinnen und Fotoredakteuren gehört es, bei Bildagenturen nach passenden Fotografien für geplante Artikel zu suchen. Suchen sie bei der renommierten Bildagentur Getty jedoch nach Fotografien, stoßen sie dabei auch auf computergenerierte Bilder. Allerdings ohne es zu wissen – denn sie sind nicht klar als solche bezeichnet. So landen jene Bilder, die als Fotografien ausgegeben werden, in Medien, die sich eigentlich der seriösen Berichterstattung verpflichtet haben. Unser Autor ging auf Spurensuche.

Ein Tiefseekabel lässt aufmerken

Im Spätherbst 2024 wurden in der Ostsee zwei Tiefseekabel zerstört. Am 21. November illustrierten unter anderem die Schweizer «Freiburger Nachrichten» dieses Ereignis mit dem obigen Bild der Bildagentur Getty Images.

Auf Nachfrage in der Zeitungsredaktion, ob es sich bei diesem Bild um eine Fotografie oder um ein KI-generiertes Bild handeln würde, lautete die Antwort nach Rücksprache mit dem Medienhaus CH-Media, das den «Freiburger Nachrichten» den Artikel geliefert hatte, es sei «kein KI-generiertes Foto». Nachforschungen auf der Homepage der zu Getty gehörenden Bilddatenbank istockphoto.com ergaben dann auch erstens, dass das Bild dort als «Fotografie» angeboten wird und zweitens, dass auf dieser Bilddatenbank keine KI-generierten Bilder angeboten werden. So weit so gut.

Doch die Zweifel an der Authentizität dieses Bildes waren damit nicht ausgeräumt: Liegen Tiefseekabel völlig unbeschmutzt auf einem derart blanken Meeresgrund? Woher stammt der Lichteinfall im Hintergrund des Bildes? Gibt es auf dem Meeresgrund tatsächlich solche Steinformationen, wie sie oben links im Bild zu sehen sind? Und welcher Fotograf oder welche Fotografin war so tief unten auf dem Meeresgrund unterwegs, um diese angebliche Fotografie zu erstellen, die Getty vertreibt?

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Auf diese Weise erschien das Bild des Unterwasserkabels aus der Datenbank von Getty Images  in den «Freiburger Nachrichten» vom 21.11.2024 (Bildzitat).

«Liegen Tiefseekabel völlig unbeschmutzt auf einem derart blanken Meeresgrund? Woher stammt der Lichteinfall im Hintergrund des Bildes? Gibt es auf dem Meeresgrund tatsächlich solche Steinformationen, wie sie oben links im Bild zu sehen sind?» – Christoph Schütz

Ist auf die Angaben von Bildagenturen Verlass?

Angesprochen auf diese Zweifel an der Authentizität des Bildes, teilte die bei CH-Media für den Einsatz von KI zuständige Expertin Alexandra Stark mit, man müsse sich bei Bildagenturen auf deren Angaben verlassen können. Dem ist beizupflichten – insbesondere bei Getty, da diese Agentur in der Branche als seriöse Anbieterin gilt, eine Kooperationspartnerin der Nachrichtenagentur AFP (Agence France Press) ist und auf der eigenen Internetseite selbst seine Bildzulieferer adressiert und ermahnt: «Das Vertrauen von Kund:innen in die Authentizität Ihrer Bilder ist wichtiger denn je.»

Auf der zu Getty gehörenden Plattform istockphoto.com sind folgende Infos zum Bild des Tiefseekabels verfügbar: «Underwater Fiber Optic Cable On Ocean Floor stock photo.» In insgesamt drei Chats mit drei unterschiedlichen Kundenberater:innen von istockphoto.com und Getty bestätigen alle drei, dass es sich um eine Fotografie handeln würde.

Auf die Nachfrage, ob es sich nicht um ein computergeneriertes Bild handeln könnte, will man dies abklären und sich wieder melden – doch die Antwort auf diese Frage bleibt wochenlang aus. Und die Kontaktdaten des unter dem Pseudonym «imaginima» agierenden Fotografen gibt Getty nicht preis.

«Das Vertrauen von Kunden in die Authentizität Ihrer Bilder ist wichtiger denn je» ermahnt Getty Images auf der eigenen Internetseite seine Bildzulieferer.

Rendering statt Realität

Eine intensive Internetrecherche ermöglicht schließlich den direkten Kontakt zum Autor hinter dem Pseudonym: Dieser erklärt, das Bild sei keine Fotografie, sondern ein am Computer mittels 3D-Rendering erstelltes Bild.

Hierzu wird über technische Daten zuerst die Form der darzustellenden Objekte definiert. Danach werden die so «gebauten» Bildbestandteile mit Oberflächeneigenschaften ausgestattet (zum Beispiel: steiniger Untergrund) und dann die Lichtquellen und -effekte definiert. Am Schluss wird festgelegt, von welchem virtuellen Aufnahmestandpunkt aus und mit welcher virtuellen Objektivbrennweite das Bild errechnet werden soll.

Mit dieser Technologie lassen sich mittlerweile dermaßen fotorealistische Bilder erstellen, die von echten Fotografien nicht mehr zu unterscheiden sind. Oder mit anderen Worten: Mittels KI oder 3D-Rendering erstellte Bilder kann man bezüglich ihrer Authentizität auf eine Stufe stellen – sie sind nicht authentisch, weil sie keine gewesene Realität abbilden, sondern eine solche bloß simulieren. 

Angesprochen auf die Problematik, dass Getty seine so 3D-gerenderten Bilder als Fotografien anbietet, meint der Autor lapidar: Bei Getty seien schon immer solche künstlich erstellten Bilder als Fotografien angeboten worden. Von ihm selbst findet man unter istockphoto.com über 2.500 Bilder, bei denen es sich bei keinem um eine Fotografie handeln dürfte.

«Mit dieser Technologie lassen sich mittlerweile dermaßen fotorealistische Bilder erstellen, die von echten Fotografien nicht mehr zu unterscheiden sind.» – Christoph Schütz

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Das Ergebnis einer Suche mit den Suchbegriffen «imaginima» und «underwater»: Der Hinweis rechts unten, dass die Bilddatenbank frei von KI-generierten Inhalten ist, erweckt den Eindruck, dass es sich bei den Bildern um echte Fotografien handelt (Screenshot von istockphoto.com).

Eine ausweichende Antwort und KI-Tools im Angebot

Einige Tage nach dem dritten Chat mit dem Kundendienst von Getty folgt dann endlich auch die schriftliche Bestätigung von dort, dass es sich bei dem Bild des Tiefseekabels definitiv um keine Fotografie handelt.

Konfrontiert mit der Frage, weshalb am Computer generierte Bilder bei Getty dennoch als Fotografien deklariert werden, kommt von dessen Hauptsitz in Seattle nur eine ausweichende Antwort: «Bei den Inhalten in unserer Kreativbibliothek handelt es sich per Definition um kreative Werke, die von Künstlern, seien es Fotografen, Illustratoren oder andere, erstellt wurden. Dazu gehören sowohl mit der Kamera aufgenommene als auch mit Hilfe von Computersoftware und -tools erstellte Bilder.»

Getty geht es also ganz offensichtlich weniger um eine korrekte Kennzeichnung der Bilder oder deren Authentizität, sondern primär ums Geschäft. Das wird auch an anderer Stelle klar: Wählt man auf der Bilddatenbank eine Fotografie an, poppt der Vorschlag auf, diese Fotografie gleich mit KI zu verändern oder den Bildhintergrund zu entfernen.

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Screenshot von istockphoto.com mit dem Vorschlag, die angebotenen Bilder gleich mit KI zu verändern oder den Bildhintergrund zu entfernen.

«Bei den Inhalten in unserer Kreativbibliothek handelt es sich per Definition um kreative Werke, die von Künstlern, seien es Fotografen, Illustratoren oder andere, erstellt wurden. Dazu gehören sowohl mit der Kamera aufgenommene als auch mit Hilfe von Computersoftware und -tools erstellte Bilder.» –  Getty Seattle

Intransparenz auch bei manipulierten Bildern

Bezüglich der Authentizität der bei Getty angebotenen Bilder ist ebenfalls problematisch, dass Getty-Kund:innen nicht erfahren, wenn Fotografien so massiv manipuliert worden sind, dass niemand mehr von einer authentischen Fotografie sprechen würde.

Das untenstehende Beispiel zeigt, welche Bildmontagen in den kürzlich aktualisierten Richtlinien für Fotograf:innen Getty als zulässig erachtet, ohne dass dies den Nutzern offengelegt wird.

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Originalfotografie und zulässige Änderungen, die nicht deklariert werden müssen (Screenshots von der Getty Images Website).

Widersprüchliche Aussagen und ein Problem für die Berichterstattung

Getty nimmt zur Frage, weshalb modifizierte Bilder nicht als solche gekennzeichnet werden, wie folgt Stellung: «Getty Images verfolgt eine strenge Richtlinie, nach der alle KI-generierten oder modifizierten Inhalte aus unseren kreativen und redaktionellen Bibliotheken abgelehnt werden.»

Leider ist genau das Gegenteil der Fall, wie in den
Regeln für die Retusche und Bearbeitung auf der Homepage von Getty nachzulesen ist. Für die Retusche sind KI-Tools in einem definierten Umfang zulässig – und welche massiv modifizierten Inhalte das Unternehmen akzeptiert, zeigt obenstehendes Bildpaar.

Für Informationsmedien ist es wichtig zu wissen, was sie ihrer Leserschaft anbieten: Eine authentische Fotografie als Abbild einer gewesenen Realität, oder ein Bild, das zwar aussieht wie eine Fotografie, jedoch bloß eine Illustration ist, die am Computer oder mit KI erstellt wurde.

Dabei macht es aus Sicht der Medien und deren Publikum keinen Unterschied, ob es sich bei der fotorealistischen Illustration um ein KI-generiertes, oder um ein mit 3D-Rendering erstelltes Bild handelt: Beide lassen sich nicht mehr von Fotografien unterscheiden, entsprechend lässt sich ihre Verwendung nicht mit dem wohl wichtigsten Grundsatz journalistischer Berichterstattung vereinbaren: Der Faktentreue.

Kommentar unseres Autors

Die Fälle von KI-erzeugten Bildern in den Medien, die nicht mehr von Fotografien zu unterscheiden sind, nehmen leider zu. Kaum erstaunlich, dass das Vertrauen in die Medien im Sinkflug ist. Laut einer globalen, von Getty Images durchgeführten und 2024 publizierten Studie wünschen sich fast 90 Prozent der Verbraucher:innen Transparenz bei KI-Bildern.

Die Verlage in der Schweiz haben größtenteils mit internen KI-Richtlinien auf diese Erkenntnis und den zunehmenden Vertrauensverlust reagiert. Das ist sinnvoll, löst das Problem aber nur teilweise, wenn Fotoredaktionen – wie das Beispiel des Tiefseekabel-Bildes zeigt – sich nicht auf die Authentizität des Quellmaterials verlassen können.

Solange Getty künstlich generierte Bilder als Fotografien anbietet, die keine Fotografien sind, sollten seriöse Medien von dort aufgrund dieser Falschdeklaration keine Bilder mehr beziehen. Ansonsten laufen sie Gefahr, ihre Leserschaft an der Nase herumzuführen – unwissentlich zwar, aber eben doch.

Dieselbe Problematik dürfte auch andere Bildagenturen betreffen. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn Bildagenturen, die nicht nur Fotografien, sondern auch anders produzierte, fotorealistische Bilder anbieten, künftig authentische Fotografien als solche kennzeichnen würden.

Zudem sollten sie die Fotograf:innen verpflichten, Bildmanipulationen, die den Bildinhalt signifikant verändern, zu deklarieren. Und die Bildagenturen müssten diese Deklaration dann ihrerseits den Nutzern klar sichtbar machen. 

Es ist wichtig, wenn auch nicht immer einfach, in unserer audiovisuellen Medien-, Kunst- und Marketingwelt, das Segment der journalistischen Berichterstattung gesondert zu behandeln. Faktenbasierter Journalismus ist nur möglich, wenn man sich auf vertrauenswürdiges Quellmaterial stützen kann.

Anmerkung der ReVue-Redaktion: Dieser Artikel erschien in einer abgewandelten Form bereits in der «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) und bei dem Berufsverband für echte Fotografie und Bildkunst «Freelens». Wir fanden das Thema aber so wichtig für den Umgang mit computergenerierten Bildern im Journalismus, dass wir es – inklusive des Kommentars des Autors – noch einmal aufgreifen und auch unseren Leser:innen zugänglich machen wollten.

Christoph Schütz

Christoph Schütz, Fotograf und Medienwissenschaftler, publiziert zu medienrechtlichen Themen im Zusammenhang mit Fotografie. Nach einem Fotojournalismus-Studium in New York (ICP) hat er rund 15 Jahre für diverse Medien in der Schweiz gearbeitet. Seine freien Arbeiten wurden in der Schweiz und im Ausland ausgestellt und mehrfach ausgezeichnet. Heute betreibt er ein Atelier für visuelle Kommunikation in Freiburg in der Schweiz.

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